INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 19.9. 2015

»Hollywood war meine mutigste Entscheidung«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Senta Berger

Die Schauspielerin Senta Berger spricht über ihre Wiener Wurzeln, die ersten Schritte ins Berufsleben, den Beginn ihrer Filmkarriere, die Todesangst beim Auswendiglernen von Hofmannsthal-Texten - und über ihre erste Kritik in der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Frau Berger, ich möchte das Gespräch mit Ihrer Autobiografie "Ich habe ja gewußt, daß ich fliegen kann" beginnen, und zwar in literarischer Hinsicht. Beim Lesen Ihres Buches wird klar: Hier bringt ein Mensch seine Gedanken zu Papier, der sich viel mit Sprache, mit Literatur befasst haben muss, um selbst zu einem so ausgereiften Erzählstil zu finden. Wie haben Sie zu Ihrem Schreibstil gefunden?

Senta Berger: Sich mit Sprache, mit Literatur zu befassen, liegt ja sozusagen in meinem Beruf. Aber ob man besser schreibt oder schreiben lernt, wenn man viel liest? Ich weiß es nicht. . . Meine Freundin Elke Heidenreich behauptet, man lerne Schreiben durch das Leben. Dies ist wohl auch bei mir wahr. Ich habe zwar immer schon sehr viel gelesen, aber das Schreiben ist mir im Laufe des Lebens zugewachsen.

Was gab letztendlich den Anstoß, dass Sie Ihre Erinnerungen zu Papier brachten?

Elke Heidenreich hat mich sehr ermutigt. Sie sagte: "Ich kenne niemanden, der so schöne Briefe schreibt wie du, Senta. Wenn du jetzt kein Buch schreibst, dann gebe ich diese Briefe heraus." Da habe ich gesagt: "Das kommt nicht in Frage, das machst du bitte nicht, lass’ mir nur Zeit, Elke, es schreibt ja schon in mir . . ." Und dann passierte es, dass meine Mutter starb, was so viel in mir aufwühlte, das ich gar nicht bei mir behalten konnte. Zunächst dachte ich, ich möchte alles, was ich über meine Mutter weiß, niederschreiben, damit auch meine Kinder etwas festhalten können, die meine Mutter sehr geliebt haben.

Im Vordergrund stand also primär der Wunsch, Ihren beiden Söhnen eine bessere Vorstellung vom Leben Ihrer Mutter zu vermitteln?

Ich weiß nicht, ob das wirklich die ganze Wahrheit ist, vermutlich nicht. Ich wollte auch etwas festhalten, was mir gehört. Meine Mutter war sehr alt, als sie gestorben ist - 99 Jahre -, und sie hat hier in München in unserem Haus gewohnt. Natürlich war sie in den letzten Jahren schon sehr schwach, hatte aber immer noch viel Humor. Und vor allem: Sie war da! Nach ihrem Tod habe ich mich zum ersten Mal nach langer Zeit wirklich sehr alleine gefühlt. Ich habe furchtbares Heimweh bekommen, auch Heimweh nach meiner Kindheit, nach jemandem, mit dem ich darüber reden konnte, nach Gesprächen, die mit "Weißt du noch . . .?" beginnen. Und dieses Buch wurde mein "Weißt du noch . . ." Ich habe mir alles noch einmal selbst erzählt.

Noch ein Wort zum "Tonfall" Ihres Buches: Meinem Empfinden nach ist die Musikalität Ihrer Sprache doch eindeutig von Ihrer Wiener Herkunft geprägt.

Absolut! Natürlich!

Wie wichtig, wie nah ist Ihnen Wien heute noch? Oder ist die Achse München-Berlin-Wien eine gute Mischung?

Das ist schwierig zu sagen. Es gab Zeiten, in denen ich in Deutschland sechs Filme hintereinander gedreht habe und zwei Jahre nicht in Österreich war. Wenn ich dann nach Wien fahre, ist es ein erschütterndes Gefühl für mich, es ist nicht nur ein Spaß, nach Hause zu kommen. Ich möchte jetzt Alfred Polgar nicht eins zu eins zitieren, der den Ausspruch prägte: "Die Fremde ist keine Heimat geworden und die Heimat ist fremd geworden." So tragisch kann ich es nicht ausdrücken. Allerdings spüre ich schon sehr stark, dass München für mich immer noch nicht die Heimatstadt ist. Mein Zuhause beginnt vielmehr hier in dieser Straße, wenn man unter den Linden zu unserem Haus fährt. Aber wenn ich in Wien die Lainzer Straße entlang gehe, rechts und links die Biedermeierhäuser sehe, meinen Schulweg, meinen Ballettweg - dann ist das unersetzbar. Das ist Heimat, auch wenn Wien ein bisschen touristisch geworden ist und mir nicht mehr so gehört.

Welche Rolle spielt Berlin in Ihrem Leben?

Ich bin kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag nach Berlin gekommen und bis 23 geblieben. Für mich waren das sehr entscheidende Jahre, die ersten Schritte ins Berufsleben. Mein Mann (Michael Verhoeven, Anm.) ist ja Berliner. Wir haben uns in Berlin kennen gelernt und schnell verliebt. Diese erste Leidenschaft verbindet uns mit dieser Stadt. Fast alle unsere Freunde wohnen in Berlin. Wenn schon nicht Wien, dann Berlin, denke ich oft. Ich brauche die gewachsene Architektur einer großen Stadt.

"Ich knüpfte aus meinen Erinnerungen ein festes Netz, in das ich mich zu jeder Zeit fallen lassen konnte." Gilt dieses Zitat aus Ihrer Autobiografie für Sie heute noch?

Ja, es ist eigentlich ein tägliches Erinnern. Erst kürzlich habe ich ein kleines Heftchen zur Hand genommen, in das mir meine Schauspiellehrerin Melanie Horeschov-sky ihre Rezepte hineingeschrieben hat. Wenn ich dieses Heft zur Hand nehme, ist dies verbunden mit einem Geruch, einem Duft, einer Erinnerung, zuweilen - wenn auch nur schemenhaft - mit einem Gesicht. Ich bin gerne in dieser Art sentimental.

Gibt Ihnen das in gewisser Weise auch Kraft?

Ja, manches Mal heule ich auch, aber das ist gut so. Warum sollte man das nicht tun? Es überwältigt mich von Zeit zu Zeit. Der Beruf ist nicht immer einfach und ich fühle mich manchmal überlastet. Aber dann tut mir das Weinen gut.

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