Fotos © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 3. August 2013

»Drauflos schreiben gibt es bei mir nicht«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Sabine Gruber

Die Südtiroler Autorin Sabine Gruber erklärt, welche Bedeutung reale Orte für ihre Romanfiktionen haben, denkt über den Umgang mit den Lasten der Geschichte nach und erzählt von ihrer Krankheit, die sie zur "Recherche am eigenen Körper" literarisch genutzt hat.

"Wiener Zeitung": Frau Gruber, Sie wurden in Meran geboren, sind in Lana aufgewachsen, haben vier Jahre in Venedig verbracht und wohnen schon seit vielen Jahren in Wien. Was bewog Sie, in Österreich zu leben?

Sabine Gruber: Ich habe in Innsbruck zu studieren begonnen, bin aber schon während des Studiums nach Wien übersiedelt, weil mir diese Stadt sehr gut gefallen hat. Von 1988 bis 1992 war ich Lektorin an der Uni in Venedig, habe aber im Laufe der Jahre bemerkt, dass mir der deutsche Sprachraum fehlt. Ich begann in meinem Denken italienische Sätze zu formulieren, was wiederum für das Schreiben kontraproduktiv war. Zudem fehlte mir der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen. Das Leben in Venedig war einerseits bestimmt von der literaturwissenschaftlichen Arbeit an der Uni, andererseits aber auch ein sehr einsames Leben. Die Stadt ist sehr auf Tourismus ausgerichtet und auf einige wenige kulturelle Höhepunkte wie etwa die Biennale. Dazwischen passiert nicht sehr viel. Am Abend ist die Stadt eigentlich ausgestorben. Ich war damals sehr jung und hatte das Bedürfnis auszugehen, Leute zu treffen, auch deswegen bin ich zurück nach Wien. Gesundheitliche Gründe spielten ebenfalls eine Rolle.

Sind Sie in Südtirol zweisprachig aufgewachsen?

Ich bin deutschsprachig aufgewachsen, war aber in einem italienischen Kindergarten. Das war großartig, weil so ein früher Kontakt mit der anderen Sprache gegeben war. Meine Mutter hatte eine italienische Freundin, die wiederum einen Sohn in meinem Alter hatte. Wir wuchsen gemeinsam auf.

In Ihren bisher vier veröffentlichten Romanen dienen Wien, Rom und Venedig als Schauplätze, also allesamt Orte, an denen Sie selbst viel Zeit verbracht haben.

Es ist für mich sehr wichtig, die Orte zu kennen, über die ich schreibe. Ich erfinde Figuren, brauche aber ganz reale Plätze, Häuser und Gassen, um das Imaginäre zu verorten, um das, was ich erfinde, verwurzeln zu können. Die realen Orte funktionieren wie Projektionsflächen. Ich habe schon als Kind vom Auto aus bei Ausflügen in die Nachbardörfer und -städte Wohnungen und Häuser ausgespäht, die in meiner Vorstellung die Wohnorte imaginärer Spielfreunde waren.

Das führt dazu, dass man sich beim Lesen Ihrer Romane oft die Frage stellt: Was ist wahr, was ist erfunden? Wenn man sich mit Ihrer Biographie beschäftigt, findet man auch thematisch immer wieder Anknüpfungspunkte zwischen den Protagonistinnen in Ihren Romanen und Ihnen selbst. Um ein Beispiel zu nennen: Sie sind von der Südtiroler Schriftstellerin Anita Pichler kurz vor deren Tod im Jahr 1997 zu ihrer Nachlassverwalterin bestimmt worden. In Ihrem letzten Roman, "Stillbach oder Die Sehnsucht", reist eine in Wien lebende Südtirolerin nach Rom, um den literarischen Nachlass ihrer verstorbenen Freundin Ines zu ordnen. Ist diese Romansequenz als kleines Denkmal für Anita Pichler gedacht?

Interessanterweise habe ich beim Schreiben kein einziges Mal an Anita Pichler gedacht. Für mich stellte sich vielmehr die Frage, wie sich das Romanmanuskript von Ines, das ja in einer anderen Zeitebene verankert ist als der übrige Roman, in das Konzept des Buches einbinden lässt. Die Idee, einen persönlichen literarischen Nachlass ins Spiel zu bringen, ist mir deswegen in den Sinn gekommen, weil Geschichte auch so etwas wie ein Nachlass ist, mit dem wir alle zu tun haben. Der große historische Nachlass, also Faschismus und Nationalsozialismus, beschäftigt uns ja bis heute.

Wie komplex die Geschichte Südtirols mit dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus verknüpft ist, markiert ja ein Hauptthema von "Stillbach oder Die Sehnsucht". Wie ist dieses Buch in Südtirol aufgenommen worden?

Durchwegs positiv, was mich doch ein bisschen verwundert hat. Ich habe schon damit gerechnet, dass es ideologische Einwände geben könnte, schließlich versucht man in Südtirol immer noch die deutsche Kultur hochzuhalten und möglichst nicht zu beschmutzen. In dem Roman kommt auch die Fluchthelferrolle Südtirols zur Sprache. Nach dem Krieg hat man Nazis versteckt und ihnen in weiterer Folge geholfen, nach Übersee zu reisen. Eichmann, Mengele und viele andere erhielten in Südtirol neue Papiere, bevor sie entkommen konnten. Unangenehme Mails erreichten mich eigentlich nur aus Ostdeutschland, aus Neonazikreisen. Man warf mir vor, ich würde über den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Priebke schreiben, ohne ihn wirklich zu kennen. Priebke war am Massaker in den Ardeatinischen Höhlen am Stadtrand von Rom beteiligt, er wird im August 99 Jahre alt, lebt in einem sehr gelockerten Hausarrest.

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