Fotos © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 12. März 2011

»Ich habe einfach getan, was ich tun musste«

Friedrich Cerha im Gespräch mit Christine Dobretsberger

Der Komponist Friedrich Cerha spricht über das im Laufe seines 85-jährigen Lebens gewachsene Publikumsinteresse an Neuer Musik, das Rätselhafte am Schaffensprozess - und über seine Rolle als Lehrer und Vater.

"Wiener Zeitung": Herr Cerha, am Sonntag wird Ihnen in Salzburg der mit 60.000 Euro dotierte Salzburger Musikpreis verliehen. Darüber hinaus gibt es im Jahr 2011 aber noch eine Vielzahl anderer künstlerischer Höhepunkte. So widmet Ihnen etwa das Musikfestival Wien Modern heuer im Herbst einen Schwerpunkt. Als Eröffnungskonzert steht Ihr Opus magnum, das Orchesterwerk "Spiegel I-VII", auf dem Programm. Wie wichtig ist Ihnen dieses Werk? In den 60er Jahren, als Sie es komponierten, waren Sie gar nicht sicher, ob es jemals zur Gänze aufgeführt wird.

Friedrich Cerha: Den Werk-Zyklus "Spiegel I-VII" habe ich ganz unabhängig von praktischen Erwägungen komponiert. Wie im Grunde alle Werke zu dieser Zeit, also ohne Auftrag und für die Schublade. Mir war es einfach ein Bedürfnis, eine innere Notwendigkeit, diese Werke zu schreiben.

Erstmals aufgeführt wurde "Spiegel I-VII" dann im Rahmen des steirischen herbsts 1972.

Und in der Folge bei der Biennale in Venedig und bei den Salzburger Festspielen, da habe ich auch selbst dirigiert. Dann noch bei den Bregenzer Festspielen, und insgesamt zweimal in Wien. Einzelne Teile des Werkes wurden in Warschau, Stockholm, Hamburg und Köln uraufgeführt. Heute stört es mich ein wenig, dass meine Arbeit oft auf die "Spiegel" reduziert wird. Natürlich ist das ein wichtiges Werk in meiner Entwicklung. Aber andere Werke waren mindestens ebenso wichtig. Ich denke da beispielsweise an mein Orchesterwerk "Fasce" oder die "Mouvements I, II, III". Auch die Musik des "Baal" wäre nicht denkbar gewesen ohne die zuvor gesammelte Erfahrung der "Spiegel". Die Rezeption dieser Werke hat sich im Laufe der Zeit übrigens ziemlich gewandelt.

Inwiefern?

Bei der Uraufführung der einzelnen Teile der "Spiegel" war immer wieder von intellektueller Experimentierfreude die Rede. Was es für mich überhaupt nicht war. Das Werk ist aus einem ganz elementaren Ausdrucksbedürfnis heraus entstanden. Heute weiß ich, dass auch die schrecklichen Erlebnisse des Krieges für die Ausdrucksskala dieses Werkes mit verantwortlich waren. Diese emotionale Seite wird in der heutigen Rezeption durchaus verstanden.

Wenn Sie an die musikalische Landschaft in Wien Anfang der 1960er Jahre zurückdenken: Wie schwierig war es damals für einen zeitgenössischen Komponisten, dass seine Werke aufgeführt werden?

Nun, in den 60er und 70er Jahren war die musikalische Szene in Wien schon recht lebendig. Wirklich trostlos und verknöchert waren die 50er Jahre. Da gab es fast überhaupt keine Aufführungen von Neuer Musik. Heute gibt es ein relativ großes und interessiertes Publikum, das allerdings gänzlich unkritisch reagiert. Das stört mich ein wenig. Alles wird beklatscht - und man kann nicht genau einschätzen, wie der Hintergrund der Rezeption eigentlich aussieht.

Mit anderen Worten: Sie würden sich seitens des Publikums mehr Emotionen wünschen?

Ja, wobei - und das gilt jetzt nicht nur für Wien - es nicht das Publikum als solches gibt. Das Publikum ist ja sehr gespalten. Das philharmonische Abonnement-Publikum geht in keine Konzerte Neuer Musik, und das Publikum der Klangforum-Konzerte besucht wiederum keine traditionellen Symphoniekonzerte. Jede Sparte hat ihr eigenes Publikum. Mit dieser Gespaltenheit muss man leben.

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