© Franz Svoboda

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 24. Dezember 2022

»Ich möchte gern gut sein, wenn’s geht«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Klaus Maria Brandauer

Klaus Maria Brandauer über seine Liebe zum Theater, die Umarmungen durch Shakespeare und die Angst vorm Scheitern.

Wiener Zeitung": Herr Brandauer, es ist ziemlich genau zehn Jahre her, dass man Sie hier auf der Bühne des Burgtheaters als König Lear erleben durfte. Nach diesem Ereignis dachte ich mir, welche Rolle am Theater könnte es überhaupt noch geben, die Sie reizen könnte?

Klaus Maria Brandauer: Ich kann noch nicht darüber sprechen, aber Sie werden mich wieder hier sehen.

Als Sie den König Lear spielten, waren Sie 70 Jahre alt. Shakespeare hat Lear ein Alter von 80 Jahren zugeschrieben. Im kommenden Jahr feiern Sie diesen runden Geburtstag. Peter Stein, der damals Regie führte, meinte, dass Sie als Schauspieler auf der Bühne nichts von Ihrer Persönlichkeit aussparen würden. In den zehn vergangenen Jahren ist sicherlich viel in Ihrem Leben passiert; würden Sie den Lear heute anders spielen als damals?

Man muss nicht 80 sein, um sich in einen 80-Jährigen einfühlen zu können. Vielleicht war er ja auch jung in manchen Momenten? Natürlich färbt die gewonnene Lebenserfahrung auf die Arbeit ab. Aber das bedeutet nicht, dass man gescheiter geworden, richtiger geworden ist - aber es ist eine gute Idee, den Lear wieder zu spielen!

Die Werke von Shakespeare üben auf Sie von jeher einen besonderen Reiz aus. Sie sagten einmal, wenn Sie Shakespeare-Dramen lesen, denken Sie sich: Woher kennt der mich?

Ich fühle mich bei Shakespearerollen immer irgendwie ertappt, indem ich den Eindruck habe, das hätte mir auch passieren können oder das hätte ich auch gerne gemacht. Es ist ein aufregender, herrlicher Kosmos bei Shakespeare, der einem gleichwohl Freude wie Kummer bereitet. Man ist ständig mit der Frage beschäftigt, wie lässt sich das darstellen - oder besser gesagt -, wie lässt sich das leben oder erleben? Dafür müssen wir eine große Portion von uns selbst hergeben und uns vor allen Dingen intensiv mit dem Text beschäftigen - viele, viele Stunden, eigentlich täglich, auch außerhalb der Proben.

Lesen Sie zu diesem Zweck auch Sekundärliteratur?

Selbstverständlich, alles, was man kriegen kann! Das ist ganz wichtig, aber davon darf man sich nicht zuschneien lassen, sonst liegt man plötzlich unter der Schneedecke und hat fast keinen Mut mehr, diese große Person darzustellen, dann hat man zu sehr Angst oder fühlt sich eingeengt. Wobei es im Grunde überhaupt nicht nötig wäre, weil der Willi, wie ich immer zu meinen Schauspielschülern gesagt habe, wenn ich über Shakespeare sprach, umarmt einen dann irgendwann ohnehin und zieht einen genau dorthin, wo er uns haben möchte. Dieser Lear war auch deshalb eine besondere Aufführung für mich, weil ich mit Peter Stein sehr gut zusammengearbeitet habe und noch dazu an einem großen schönen Haus wie dem Burgtheater. Ich kann es nicht fassen, ich bin seit 50 Jahren hier...

In Ihrer ersten Zeit am Burgtheater haben Sie noch den damaligen Chef-Dramaturgen Friedrich Heer erlebt, den Sie als wichtigen Menschen in Ihrem Leben bezeichnen.

Es waren herrlich philosophische Gespräche mit ihm. Er war ein außergewöhnlich kluger und gebildeter Mensch. Dem Friedrich höre ich innerlich jetzt noch zu, wie er über seine Sicht der Dinge gesprochen hat. Das war immer sehr aufschlussreich.

Dann gab es auch diese denkwürdige Begegnung mit seiner Frau Eva Heer...

Eines Tages auf einer Probe von "Kabale und Liebe" kam in der Pause eine Dame zu mir, die ich bis dahin nicht kannte und sagte: Sie machen das zwar ganz gut, aber ich könnte Ihnen doch sehr viele Dinge dazu sagen. Das interessierte mich natürlich und wir trafen uns, zuerst noch gemeinsam mit Traudl Jesserer, die nach einiger Zeit jedoch meinte: Ich geh doch nicht noch einmal auf die Schauspielschule! Mich hat Eva Heers Meinung aber sehr interessiert - und so haben wir mehrere Stücke gemeinsam durchgesprochen und ich ließ mich von ihren Anregungen inspirieren.

War Eva Heer Dramaturgin?

Nein, sie war Schauspielerin - und zwar eine ziemlich gute, einmal hatte sie auch in einem Film meiner Frau Karin mitgewirkt.

In Ronald Pohls Buch "Klaus Maria Brandauer - Ein Königreich für das Theater" gibt es folgendes Zitat: "Brandauer versteht es wie kein anderer deutschsprachiger Schauspieler, den von ihm gespielten Figuren den Sound der Vernunft mitzugeben." Wie stehen Sie zum Thema Vernunft generell im Leben?

Ich freue mich über eine solche Feststellung natürlich und im Zusammenhang mit dem Theater stimmt das vielleicht auch, aber ich habe eher das Gefühl, dass ich mich in meinem ganzen Leben immer wieder bei unvernünftigen Dingen sehr wohlgefühlt habe.

Weiterlesen: Wiener Zeitung




 

zurück « » Seitenanfang