Fotos: © Robert Wimmer

INTERVIEW Wiener Zeitung, Printausgabe 15. Februar 2020

»Du machst Therapie mit dem Publikum«

Christine Dobretsberger im Gespräch mit Martin Schwab und Alfried Längle

"Seelenverwandte" (Folge 9): Der Schauspieler und der Psychotherapeut über die Gemeinsamkeiten ihrer Berufe, über das Authentische auf der Bühne und ihre Eindrücke von Viktor Frankl.

"Wiener Zeitung": Herr Schwab, worin gründet Ihre Seelenverwandtschaft mit Herrn Längle?

Martin Schwab: Zunächst würde ich den Begriff Seelenverwandtschaft gerne an den Psychotherapeuten weitergeben. Was genau versteht man deiner Ansicht nach eigentlich darunter?

Alfried Längle: Sich mit jemanden seelenverwandt zu fühlen, heißt für mich, ein Gefühl des Ähnlichen, des Bekannten, des Gleichen in sich zu haben, das man auch im Anderen wiederfindet. Bei unserer ersten Begegnung habe ich sofort gespürt, irgendwie kenne ich dich, als ob es ein früheres Leben gegeben hätte, wo wir miteinander im Sand gespielt haben.

Schwab: Durch unsere Freundschaft und unsere vielen Gespräche habe ich den Eindruck, dass ich von deinem Wissen über die menschliche Seele profitiere. Als Schauspieler muss man ja die unterschiedlichsten Charaktere darstellen, über viele psychologische Verflechtungen nachdenken. Wenn ich mich mit dir unterhalte, komme ich in neue Räume hinein.

Sprechen Sie mit Herrn Längle konkret über Ihre Rollengestaltung?

Schwab: Das nicht, aber irgendwie passiert das unbewusst, wenn wir beisammen sind.

Längle: Wenn wir zusammensitzen und du beginnst etwas zu erzählen, entsteht manchmal auch im Privaten gleich so etwas wie ein Bühnencharakter. Du stellst einfach Bühne dar, hast das so im Blut. Wenn ich dich dann auf der Theaterbühne sehe, denke ich mir, der Martin hat die ganze Psychologie in sich, weil er spielt das nicht - in dem Moment ist er diese Persönlichkeit, die er verkörpert. Er schöpft das aus der Seele, leuchtet Pathologien aus oder bringt verborgene seelische Fähigkeiten zum Vorschein.

Schwab: Dafür kann ich ja nichts, das ist ein Geschenk. Mein Motor bei der Schauspielerei ist ja der, dass man auf der Bühne alles denken, alles sein oder ausleben kann, was man im sogenannten normalen Leben nicht macht. Ein Schauspieler, der meiner Vorstellung entspricht, braucht nie zu einem Psychiater zu gehen, der kann sich auf der Bühne voll ausleben.

Längle: Es gibt ja auch in der Psychologie den von Jacob Levy Moreno geprägten Begriff des Psychodramas, also das schauspielerische Darstellen von psychischen Problemen, Spannungen und Konflikten. Durch das Ausspielen kommt Heilung. Aber ich denke, auch wenn man selbst nicht krank ist, geben Ansätze von Erlebtem oder von Schmerzen, die man in sich hat, Pulver in die Vitalität der Darstellung.

Schwab: Auf alle Fälle.

Authentizität ist ein zentraler Begriff in Ihren beiden Berufen, wobei es für einen Psychotherapeuten, wie ich annehme, primär darum geht, dass derKlient seine Masken ablegt, damit man zum Wesenskern vorstößt.

Längle: Vielleicht ist das wieder eine Parallele und ein weiterer Grund für unsere Seelenverwandtschaft. Martin spielt nicht mit Maske, er schöpft aus sich, er macht nichts vor, kann sich so hineinversenken in die Rolle, deshalb berührt er auch so.

Schwab: Hat das etwas mit Imagination zu tun?

Längle: Die Imagination hat eine Brückenfunktion. Mein Eindruck ist, du stellst dir bestimmte Wesenszüge vor und dann kommt die Empathie hinzu, du fühlst dich ein und entdeckst dann in deiner Seele Ähnliches oder sogar Gleiches. Diesen Zugang hast du.

Schwab: Deshalb ist es so wichtig, dass auf Proben eine Atmosphäre geschaffen wird, dass man locker und frei bleiben kann, dann fängt - um mit Freud zu sprechen - das Es an zu spielen.

Längle: Und genau das ist das Authentische auch in meinem Beruf. Authentisch bin ich, wenn "es in mir zu sprechen anhebt".

Wie kommt das in einer Therapiesitzung zum Ausdruck?

Längle: Wenn ich mit Klienten spreche, möchte ich nur das sagen, was wirklich ganz echt in mir ist und aus einer intuitiv gespürten Tiefe hervorkommt. Du machst das auf der Bühne genauso. Du sagtest vorhin, du kannst nichts dafür, dass du diesen Reichtum in dir hast. Das stimmt schon, aber man kann ihn pflegen. Ganz sicher dein Verdienst ist es, dass du diesen Zugang hast, diese Offenheit für dich selbst, für das Menschsein, auch dort, wo es schmerzt.

Schwab: Da sind wir jetzt bei dem Punkt, der auch dein Lebenswerk durchzieht - nämlich bei der Frage nach dem Sinn, nach der Sinnsuche im Leben.

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